Nr. 07/2023
- P.St. 2891 -
Den Normenkontrollantrag der SPD- und FDP-Fraktion im Hessischen Landtag betreffend Vorschriften des Hessischen Hochschulgesetzes vom 14. Dezember 2021 mit Bezug zur Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 für teilweise begründet erachtet.
Bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 2024, gelten die mit der Verfassung des Landes Hessen für unvereinbar erklärten Vorschriften fort.
- Der Normenkontrollantrag war gegen mehrere Vorschriften des Hessischen Hochschulgesetzes (im Folgenden „HHG“) sowie gegen eine Vorschrift des Hessischen Besoldungsgesetzes (im Folgenden „HBesG“), gegen eine Vorschrift der Hessischen Laufbahnverordnung (im Folgenden „HLVO“) und gegen eine Vorschrift der Verordnung über Leistungsbezüge sowie Forschungs- und Lehrzulagen im Bereich der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (im Folgenden „HHöMSLeistBV“) gerichtet. Die Antragstellerinnen waren der Auffassung, dass die von ihnen angegriffenen Vorschriften gegen das in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HV normierte Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen sowie gegen die in Art. 10 HV verbürgte Wissenschaftsfreiheit verstießen.
- Der Staatsgerichtshof entschied, dass die §§ 104 Abs. 2, 107 Abs. 2 und Abs. 4 HHG sowie der § 111 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 HHG verfassungswidrig seien.
a) Die Zusammensetzung der sogenannten Professorengruppe an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit nach § 104 Abs. 2 HHG sei mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HV i.V.m. Art. 10 HV nicht vereinbar.
An Hessischen Hochschulen würden die Mitglieder der Hochschule nach ihren verschiedenen Funktionen und Interessen in einzelne Gruppen gegliedert und den von diesen Gruppen gewählten Vertretern Stimmrechte in Gremien der Hochschulselbstverwaltung zuerkannt. Diese Gruppen müssten homogen zusammengesetzt sein. Diesem verfassungsrechtlichen Homogenitätsprinzip entspreche die gesetzliche Regelung zur Zusammensetzung der sogenannten Professorengruppe an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit nicht. Denn ihr gehörten nach § 104 Abs. 2 HHG nicht nur Professorinnen und Professoren, sondern auch Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten an. Zwischen Professorinnen und Professoren auf der einen und Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten auf der anderen Seite bestünden gravierende Unterschiede hinsichtlich der Anforderungen an ihre wissenschaftliche Qualifikation, die eine gemeinsame typische wissenschaftsbezogene Interessenlage ausschlössen.
b) § 107 Abs. 2 und Abs. 4 HHG, der Bestellung und Abberufung der Präsidentin oder des Präsidenten regele, verletze den in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HV i.V.m. Art. 10 HV gewährleisteten Schutz der Hochschulautonomie vor staatlichen Einflussnahmen, die die Wissenschaftsfreiheit einschränken können.
Der Staatsgerichtshof stellte klar, dass mit der Verlagerung wissenschaftsrelevanter personeller und sachlicher Entscheidungsbefugnisse von einem kollegialen Selbstverwaltungsorgan hin zu einem Leitungsorgan im Gegenzug die Stärkung der Mitwirkung des Selbstverwaltungsorgans an der Bestellung und Abberufung dieses Leitungsorgans und an dessen Entscheidungen rechtlich ausgestaltet sein müsse. Dem sei mit den Vorschriften zur Bestellung und Abberufung der Präsidentin oder des Präsidenten der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit nicht entsprochen worden. Unter Berücksichtigung der wissenschaftsrelevanten Entscheidungsbefugnisse der Präsidentin oder des Präsidenten kämen dem Senat als Selbstverwaltungsorgan sowohl bei der Bestellung als auch bei der Abberufung der Präsidentin oder des Präsidenten nur unzureichende Einflussmöglichkeiten und kein hinreichend effektives Mitwirkungsrecht zu. Damit fehle den wissenschaftlich Tätigen ein zentrales und effektives Einfluss- und Kontrollinstrument in Bezug auf die Organisation der Hochschule.
c) Auch die Regelungen in § 111 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 HHG verstießen gegen Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HV i.V.m. Art. 10 HV.
§ 111 Abs. 2 HHG schreibe vor, dass der Senat eine Satzung zu erlassen habe, die das Berufungsverfahren abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen in § 69 HHG regelt. Diese Satzung bedürfe der Genehmigung des hierfür zuständigen Ministeriums. § 111 Abs. 3 Satz 3 HHG normiere Gründe, aus denen die Satzungsgenehmigungen zwingend zu versagen seien. Der Staatsgerichtshof urteilte, dass die Regelungen wegen ihrer Unbestimmtheit mit der Hessischen Verfassung unvereinbar seien. Welchen Inhalt die nach § 111 Abs. 2 HHG zwingend zu erlassenden Satzungen haben dürften und wann die Genehmigung durch das zuständige Ministerium nach § 111 Abs. 3 Satz 3 HHG zu versagen sei, lasse sich weder dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen noch aus dem systematischen Zusammenhang erschließen. Auch die Gesetzesbegründung verhalte sich hierzu nicht.
- Ohne Erfolg blieb der Normenkontrollantrag, soweit er sich gegen § 43 Abs. 2 HHG i.V.m. § 108 HHG (Zusammensetzung des Präsidiums), § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 HHG (Überwachung der Geschäftsführung des Präsidiums durch das Kuratorium), § 111 Abs. 1 Satz 3 HHG i.V.m. § 9 HLVO (Anwendbarkeit von § 9 HLVO auf die Professorinnen und Professoren der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit), § 111 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 HHG (ministerieller Genehmigungsvorbehalt für bestimmte Satzungen), § 112 HHG (Erlaubnis zum Erlass einer abweichenden Satzung von den Vorschriften über die Studierendenschaft) sowie § 38 Abs. 3 HBesG i.V.m. § 7 HHöMSLeistBV (Entscheidungsermächtigung des zuständigen Ministeriums über die Vergabe von Leistungsbezügen) richtete. Diese Vorschriften erklärte der Staatsgerichtshof für mit der Verfassung des Landes Hessens vereinbar.
- Die angegriffenen Normen sind im tenorierten Umfang nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen erklärt worden. Bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2024, sind die von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Bestimmungen weiterhin anwendbar.
- Von ihren notwendigen Auslagen können die Antragstellerinnen 50% ersetzt verlangen.