Nr. 02/2024
Zahlen der in 2023 eingegangenen Verfahren weiterhin auf Niveau der Zeit vor der Corona-Pandemie / Normenkontroll-
klagen betreffend die Gründung der „Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit“ im Mittelpunkt / Mündliche Verhandlung in den Verfahren betreffend die Änderung des Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes für 2024 geplant
„Im letzten Jahr gingen 39 Verfahren beim Staatsgerichtshof ein und 35 Verfahren wurden erledigt“, teilte der Präsident des Staatsgerichtshofs Dr. Wilhelm Wolf heute anlässlich der Jahresbilanz des hessischen Verfassungsgerichts in Wiesbaden mit und ergänzte: „Damit haben sich die Eingangs- und Erledigungszahlen wieder auf dem Niveau eingependelt, das vor der Corona-Pandemie bestand. Zu erkennen ist allerdings in den letzten Jahren ein Anstieg der Normenkontrollanträge, mit denen die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zur Prüfung gestellt wird.“
Im Jahr 2024 wird sich der Staatsgerichtshof im Zusammenhang mit Normenkontrollanträgen der Fraktionen der Linken und der AfD im Hessischen Landtag mit der Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen des Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes befassen, das durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Versammlungsrechts in Hessen vom 22. März 2023 (GVBl. S. 150) eingeführt wurde.
Im Mittelpunkt der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs im Jahr 2023 standen insbesondere die beiden abstrakten Normenkontrollverfahren zur Gründung der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit („HöMS“).
Den Normenkontrollantrag von 15 Mitgliedern des Hessischen Landtags der Fraktion der AfD, mit dem diese die formelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Gründung der HöMS rügte, erachtete der Staatsgerichtshof mit Beschluss vom 8. November 2023 als unbegründet (Az. P.St. 2879). Zum Zeitpunkt der Beratung und Verabschiedung des angegriffenen Gesetzes galt unter dem Einfluss der Corona-Virus-Pandemie eine geänderte Sitzordnung im Parlament, nach der nicht alle Landtagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend sein konnten. Zudem war das Besuchsprogramm des Hessischen Landtags ausgesetzt. „Mit der Entscheidung zum Normenkontrollantrag von 15 Abgeordneten der Fraktion der AfD im Hessischen Landtag hat der Staatsgerichtshof grundlegende Fragen zum Erfordernis der Beratungsfähigkeit des Hessischen Landtags nach Art. 87 Abs. 1 der Hessischen Verfassung (HV) sowie zum Grundsatz der Öffentlichkeit der Plenarsitzungen nach Art. 89 HV unter Pandemiebedingungen geklärt“, erläuterte Dr. Wilhelm Wolf.
Den Normenkontrollantrag der SPD- und FDP-Fraktion im Hessischen Landtag betreffend u.a. Vorschriften des Hessischen Hochschulgesetzes vom 14. Dezember 2021 (HHG) mit Bezug zur HöMS erachtete der Staatsgerichthof mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 für teilweise begründet (Az. P.St. 2891). „Dieser Normenkontrollantrag gab dem Staatsgerichtshof Gelegenheit, das in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 HV normierte Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen sowie die in Art. 10 HV verbürgte Wissenschaftsfreiheit zu konturieren. Insbesondere die Zusammensetzung der sogenannten Professorengruppe an der HöMS nach § 104 Abs. 2 HHG ist mit den genannten Verfassungsbestimmungen nicht vereinbar, da sie dem verfassungsrechtlich geforderten Homogenitätsgebot nicht entspricht“, führte Dr. Wilhelm Wolf aus.
Ebenfalls mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 wies der Staatsgerichtshof eine Grundrechtsklage des Landesverbandes Hessen der AfD wegen einer Äußerung des Hessischen Ministerpräsidenten während einer Pressekonferenz zurück (Az. P.St. 2910). Dieses Verfahren eröffnete dem Staatsgerichtshof die Möglichkeit klarzustellen, dass politische Parteien ihre Grundrechte gegen Verfassungsorgane des Landes Hessen grundsätzlich im Wege der Grundrechtsklage geltend machen können. Im konkreten Fall scheiterte die Zulässigkeit der Grundrechtsklage allerdings an der mangelnden Erschöpfung des Rechtswegs.
Vom 11. bis 13. Mai 2023 war der Staatsgerichtshof Gastgeber der 53. Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder. Dieses traditionsreiche Treffen findet jährlich an einem der Verfassungsgerichte der Bundesländer bzw. am Bundesverfassungsgericht statt. Dr. Wilhelm Wolf betonte den ertragreichen Ablauf der Jahrestagung. „Die vom Staatsgerichtshof organisierte Jahrestagung war eine schöne Gelegenheit für die Präsidentinnen und Präsidenten der Verfassungsgerichte der 15 Bundesländern und des Bundesverfassungsgerichts, sich im Geiste des Föderalismus zu aktuellen verfassungsrechtlichen Fragen auszutauschen und am Rande den kulturellen Reichtum Hessens sowie mit dem Reichskammergerichtsmuseum in Wetzlar einen historischen Vorläufer der modernen Verfassungsgerichtsbarkeit kennenzulernen.“
Im Jahr 2023 beging der Staatsgerichtshof den 75. Jahrestag seines ersten Zusammentretens am 3. November 1948. Dieses historische Ereignis feierte der Staatsgerichtshof mit einem Festakt, bei dem der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Peter M. Huber die Festrede hielt.
Das Jahr 2023 wird dem Staatsgerichtshof allerdings auch als dasjenige in Erinnerung bleiben, in dem die Mitglieder von ihrem äußert geschätzten und beliebten Kollegen Gerhard Böhme Abschied nehmen mussten, der im Alter von 72 Jahren überraschend verstarb. Mit Gerhard Böhme verlor der Staatsgerichtshof eine prägende Richterpersönlichkeit, der die Arbeit des Staatsgerichtshofs wesentlich bereicherte. Als seine Nachfolgerin begrüßte der Staatsgerichtshof die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht Stephanie Rachor. Aufgrund des Ablaufs ihrer Amtszeit schieden im Jahr 2023 zwei weitere Mitglieder des Staatsgerichtshofs aus: das langjährige Mitglied Michaela Kilian-Bock und Mathias Metzner. Als ihre Nachfolger bestimmte der im Hessischen Landtag zuständige Wahlausschuss Dr. Annett Wunder (Richterin am Hessischen Landessozialgericht) und Harald Wack (Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof).