Staatsgerichtshof des Landes Hessen

Urteil zum Corona Untersuchungsausschuss

Urteil des Staatsgerichtshofs in dem Verfahren über die Verfassungsstreitigkeit von 27 Abgeordneten des Hessischen Landtags gegen den Hessischen Landtag betreffend den Corona Untersuchungsausschuss - P.St. 2974 -

Nr. 9/2025

Mitglieder der Fraktion der AfD sowie ein fraktionsloser Abgeordneter brachten am 25. April 2024 im Hessischen Landtag einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein, dessen Gegenstand die Aufklärung und Beurteilung der Landespolitik in Bezug auf das Corona-Virus SARSCoV-2 und die durch dieses Virus verursachte Erkrankung COVID 19 sein sollte. Der Untersuchungsausschuss sollte gemäß dem Einsetzungsantrag aus 15 Mitgliedern bestehen und insgesamt 43 Fragen betreffend den Untersuchungsgegenstand aufklären. Am 20. Juni 2024 beschloss der Landtag, einen 16 Mitglieder umfassenden Untersuchungsausschuss einzusetzen und von den 43 Fragen lediglich 7 Fragen zuzulassen.

Diese teilweise Ablehnung des Antrags auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses durch den Hessischen Landtag ist weit überwiegend mit der Hessischen Verfassung vereinbar. Das hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen mit seinem heute verkündeten Urteil entschieden und damit die Verfassungsstreitigkeit der Antragsteller, soweit die Anträge zulässig waren, größtenteils für unbegründet erachtet. Lediglich die Ablehnung von 4 Fragen durch den Hessischen Landtag verstößt demnach gegen Art. 92 Abs. 1 Hessische Verfassung.

1. Die Antragsteller wehrten sich gegen die teilweise Ablehnung ihres Einsetzungsantrags und rügten, sie hätten von Verfassungs wegen einen Anspruch auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses entsprechend ihrem Antrag sowohl im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand als auch auf die Ausschussgröße. Neben der Feststellung, dass die Ablehnung ihres Antrags verfassungswidrig sei, beantragten sie, den Beschluss des Hessischen Landtags hinsichtlich der Einsetzung des Untersuchungsausschusses aufzuheben und den Hessischen Landtag zu verpflichten, ihren Einsetzungsantrag anzunehmen sowie den Untersuchungsausschuss antragsgemäß mit 15 Mitgliedern zu besetzen.

2. Der Staatsgerichtshof führte in seiner Entscheidung aus, dass die Hessische Verfassung der parlamentarischen Minderheit das Recht verleihe, die Aufklärung von Sachverhalten mit hoheitlichen Mitteln auch gegen den Willen der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit herbeizuführen. Dieses Untersuchungsrecht der parlamentarischen Minderheit ergebe sich aus Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Hessische Verfassung. Dort heißt es:

„Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.“

Das Untersuchungsrecht der parlamentarischen Minderheit unterliege jedoch verfassungsrechtlichen Grenzen. Die parlamentarische Minderheit müsse den Untersuchungsauftrag hinreichend bestimmt darlegen (Bestimmtheitsgrundsatz) und das Verbot vorweggenommener Feststellungen und Wertungen in Bezug auf den zu untersuchenden Sachverhalt beachten (Antizipationsverbot). Zudem habe sich das Untersuchungsrecht der Minderheit auf den Kompetenzbereich des Hessischen Landtags zu beschränken (Bundesstaatsprinzip). Auch müsse ein öffentliches Interesse an der Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes bestehen.

Der Staatsgerichtshof entschied, dass der Einsetzungsantrag der Antragsteller nur in geringem Umfang diesen Maßstäben genüge. Die teilweise Ablehnung des Antrags durch den Hessischen Landtag sei daher überwiegend verfassungskonform gewesen. Die Fragen 1 bis 13, 15, 18, 20 bis 27, 31, 32, 35, 37, 38 a) und 39 bis 43 seien verfassungswidrig und damit vom Hessischen Landtag zu Recht nicht zugelassen worden. Hinsichtlich der Fragen 14, 19, 29 und 30 sei der Einsetzungsantrag der Antragsteller hingegen verfassungskonform. Ihre Streichung durch den Hessischen Landtag verstoße daher gegen Art. 92 Abs. 1 HV und sei verfassungswidrig.

Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs Detterbeck, Fachinger, Gasper und Wack haben ein Sondervotum abgegeben, in dem sie die Auffassung vertreten, der Landtag sei verpflichtet gewesen, den Untersuchungsausschuss mit einem weitaus weniger reduzierten Untersuchungsgegenstand einzusetzen.

3. Der Staatsgerichtshof entschied auch, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Hessische Landtag bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses von der vorgeschlagenen Zahl von 15 Mitgliedern abgewichen ist und den Ausschuss mit 16 Mitgliedern eingesetzt hat. Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spiegelbildlichkeit müsse die Zusammensetzung parlamentarischer Ausschüsse ein Abbild der politischen Mehrheitsverhältnisse des Parlaments darstellen. Der Untersuchungsausschuss müsse daher so besetzt sein, dass die parlamentarische Stärke der Fraktionen proportional abgebildet wird. Fraktionslose Abgeordnete als Teil einer Einsetzungsminderheit hätten jedoch keinen verfassungsrechtlichen Anspruch, in einem Untersuchungsausschuss vertreten zu sein, weil dies zu ihrer Überrepräsentation im Untersuchungsausschuss im Verhältnis zu ihrer Repräsentation im Landtag führen würde.

Die Einsetzung des Ausschusses mit 16 Mitgliedern, von denen 3 Mitglieder der Fraktion der AfD angehören, sei verfassungskonform. Damit stünden der AfD-Fraktion im Untersuchungsausschuss weniger als 20 % der Sitze zu, was im Zeitpunkt des Einsetzungsbeschlusses auch der Sitzverteilung im Hessischen Landtag entsprochen hätte. Bei der von den Antragstellern vorgeschlagenen Ausschussgröße von 15 Mitgliedern hätte die AfD-Fraktion hingegen bei 3 Mitgliedern im Untersuchungsausschuss genau 20 % der dortigen Sitze erhalten.

Die Rechte der Einsetzungsminderheit würden durch die beschlossene Größe dennoch gewahrt, weil ihnen nach der Hessischen Verfassung das Recht eingeräumt werde, im Untersuchungsausschuss Anträge zu stellen, auch wenn sie nicht mit einem Fünftel im Untersuchungsausschuss vertreten sind.

4. Der Staatsgerichtshof hat zudem entschieden, dass die weiteren Anträge der Antragsteller unzulässig sind. Denn im Rahmen einer Verfassungsstreitigkeit werde durch den Staatsgerichtshof nur festgestellt, ob und inwieweit beanstandete Maßnahmen oder Unterlassungen gegen Bestimmungen der Hessischen Verfassung verstoßen. Er spreche aber keine Kassation oder Verpflichtung aus. Dies jedoch begehrten die Antragsteller, indem sie beantragten, den Einsetzungsbeschluss des Hessischen Landtags vom 20. Juni 2024 aufzuheben und den Hessischen Landtag zu verpflichten, ihren Einsetzungsantrag anzunehmen sowie den Untersuchungsausschuss mit 15 Mitgliedern zu besetzen. Damit verfolgten die Antragsteller im Rahmen einer Verfassungsstreitigkeit ein unzulässiges Rechtsschutzziel.

Dr. Livia Fenger

Richterin am Sozialgericht

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